Steter Wandel im altehrwürdigen Gebäude

An der Geschichte des Gymnasiums Kirchenfeld lassen sich die bildungspolitischen Entwicklungen der letzten 140 Jahre verfolgen. Die Struktur der Schule, aber auch die Länge des Bildungsganges, die Unterrichts-Schwerpunkte und die Schülerschaft haben sich seit 1880 stark verändert.

Die Geschichte des Gymnasiums Kirchenfeld beginnt 1880, als sich die burgerliche Realschule, die Kantonsschule und die neu gegründete Handelsschule zum Städtischen Gymnasium zusammenschlossen. Die Finanznot des Kantons hatte diesen dazu gezwungen, die Schulen an die Stadt abzutreten. Bis anhin waren die naturwissenschaftlich ausgerichtete Realschule und die altsprachlich humanistische Kantonsschule zwei getrennte Institutionen mit zwei verschiedenen Trägerschaften gewesen; neu blieben sie zwar zwei Schulen mit zwei Rektoraten und zwei Sekretariaten – die Handelsschule war bis 1919 administrativ Teil des Realgymnasiums – , waren aber nun unter einem Dach vereint und teilten ihre Zuständigkeiten zum Teil untereinander auf.

Nach langer Suche nach einem geeigneten Bauplatz und dreijähriger Bauzeit zogen die beiden Schulen 1926 in das neoklassizistische Gebäude im Kirchenfeld ein. Das Quartier war nur zwei Jahrzehnte vorher durch die Kirchenfeldbrücke erschlossen worden und boomte. Das Architektenbüro Widmer und Daxelhoffer hatte im Wettbewerb zwar nur den zweiten Platz belegt, aber schliesslich mit seinem Projekt «Pallas Polias» das Rennen doch noch gemacht. Weil man glaubte, es bestehe genügend freier Raum, zog auch die Handelsschule ein. Die Folge war, dass es im Schulhaus von Beginn weg an Platz mangelte.

Auf den ersten Blick hat sich das Schulhaus seitdem wenig verändert. Bei genauerem Hinsehen wird aber klar, dass es renoviert und ausgebaut worden ist. Am auffälligsten sind die drei vorgelagerten Gebäude im Süden und Norden. 1959 musste im Hof zur Nationalbibliothek (damals noch Landesbibliothek) eine Baracke aufgestellt werden, um die grosse Schüler*innenzahl aufzufangen. Sie besteht noch heute und ist zu einem vollwertigen Schulgebäude geworden. 1987 kamen die Mensa und die Mediothek im Süden als zwei symmetrische Pavillons dazu. Der Bibliotheksbrand von 1982 hatte deren Bau beschleunigt.


Der grosse Wandel hat sich dennoch weniger im Baulichen als im Schulalltag vollzogen. Die wichtigsten Etappen und Tendenzen der letzten Jahrzehnte sind:

1966
Das Gymnasium Neufeld entstand. Bereits in den Jahren vor dem Bau wurden die Lehrkräfte und die Schülerschaft aufgeteilt und dem Kirchen- bzw. dem Neufeld zugewiesen. Vorerst fand der Unterricht aber für alle noch am Gymnasium Kirchenfeld statt. Um die grosse Schüler*innenzahl zu bewältigen, musstenn in den Gang-Nischen provisorische schmale Schulzimmer eingerichtet werden. In den Korridoren wurde es finster. 1966 zogen die Neufeld-Schüler*innen sowie deren Lehrkräfte in das neue Gebäude in der Länggasse um.

1988
Das 9. Schuljahr (Quarta) wurde der Volksschule zugeteilt. Zwar fand der Unterricht für einen Teil der Schüler*innen noch immer am Gymnasium statt, doch orientierten sich die Lehrpläne an jenen der Volksschule. Faktisch verkürzte sich die gymnasiale Ausbildung um ein Jahr.

1991
Der neusprachliche Typus D erweiterte das Schulangebot am Kirchenfeld. Die Schule wuchs weiter.

1995
Das Typengymnasium verschwand. Neu wählten die Schüler*innen ein Schwerpunkt- und ein Ergänzungsfach. Die Oberprima wurde für die neu Eingetretenen aufgehoben und die gymnasiale Schulzeit damit um ein weiteres Jahr verkürzt. Gleichzeitig wurden die Lehrerseminare abgeschafft. Damit veränderte sich das Profil der Schüler*innen am Gymnasium. Das Interesse für das neue Schwerpunktfach PPP (Pädagogik, Philosophie, Psychologie) war gross. Am mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium wurde zum Schwerpunktfach Physik und Anwendungen der Mathematik neu das Schwerpunktfach Chemie/Biologie eingeführt. Dadurch besuchten mehr Mädchen die Abteilung.

1997
Die Gymnasien gingen von der Stadt zurück an den Kanton über. Die Untergymnasien wurden abgeschafft.

1999
Der Kanton beschloss Sparmassnahmen. Auch das Gymnasium war betroffen
Die Pflichtlektionenzahl der Lehrkräfte stieg bei gleichem Lohn von 22 auf 23 Lektionen pro Woche und eine besoldete Jahreslektion pro Klasse entfiel.

2001
Eine Doppelmatura wurde durchgeführt. Die letzten Oberprimen und die ersten Primen schrieben ihre Prüfungen gleichzeitig und wegen Platznot in den Turnhallen.

2001/2002
Der erste Oberprimajahrgang fiel weg. Lehrkräfte wurden entlassen.

2005
Der Lehrplan wurde kantonal einheitlich. Bis anhin hatte jede Schule (am Gymnasium Kirchenfeld jede Einzelschule) nach einem eigenen Lehrplan unterrichtet.
Die drei gymnasialen Kirchenfeldschulen fusionierten im Auftrag des Kantons. Es entstand eine Schulleitung aus drei gesamtverantwortlichen Rektor*innen und eine zentrale Kanzlei. Die drei Schulleitungsmitglieder stehen seither weiterhin einer Abteilung vor; der Vorsitz der Schulleitung wechselt regelmässig. Die Lehrerzimmer der drei Abteilungen blieben getrennt.

2014
Eine erneute Sparrunde traf auch das Gymnasium. Unter anderem wurden drei gehaltswirksame Lektionen pro Klasse gestrichen.

2017
Das 1. gymnasiale Schuljahr (GYM1, früher Quarta) wird seit Sommer 2017 ausschliesslich an Gymnasien unterrichtet. Alle Gymnasiastinnen und Gymnasiasten besuchen nun die ganze vierjährige Schulzeit am Gymnasium. Die Schwerpunktfächer beginnen schon im GYM1.


Seit den 1960er-Jahren haben die alten Sprachen an Bedeutung verloren. Mit der Einführung des Typus D, der Abschaffung der Untergymnasien und der Aufhebung der Typenmaturität büssten sie an Attraktivität ein. Das altphilologische humanistische Gymnasium und das Realgymnasium des 19. Jahrhunderts haben sich zu einem Gymnasium mit drei Abteilungen und den Schwerpunkten Sprachen/PPP/Kunst, Mathematik/Naturwissenschaften, Biologie/Chemie und Wirtschaft/Recht gewandelt.

Weitere Tendenzen im letzten Jahrhundert waren einerseits die Profilausbildung der einzelnen Schulen und Abteilungen. Sie mussten sich gegen aussen voneinander abheben, um Schüler*innen anzuziehen. Andererseits und in gegensätzlicher Weise strebte die Schulpolitik im beginnenden 21. Jahrhundert eine Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit der Anforderungen an.

Eine andere deutliche Entwicklung ist die stete Zunahme von Lehrerinnen und Schülerinnen. Heute sind die Schüler über alle Abteilungen gesehen am Gymnasium Kirchenfeld in der Minderheit.